Der Wahnsinn und die Bombe

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Beschreibung

Es vergeht kaum ein Tag, an dem unsere Medien nicht den Namen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un erwähnen.

Allzu lange haben wir das kleine, von uns weit entfernte Land unterschätzt, noch heute ist unser Wissen über die DVRK – die sogenannte «Demokratische Volksrepublik Korea» – ziemlich gering, obwohl es jetzt den gefährlichsten Krisenherd der Welt darstellt. Umso mehr muss man dieses Buch aus der Feder des ZDF-Studienleiters für Ostasien begrüssen, dessen Länder er wiederholt besuchte. Als erster Europäer interviewte er den bisher wichtigsten Flüchtling aus dem Norden Koreas, der zu dessen Führungselite gehörte und bisher Vize-Botschafter in London war und ausgerechnet die Aufgabe hatte, die ideologische Linientreue seiner Mitarbeiter zu überprüfen! Motiv seines Überlaufens war, dass seine Söhne nicht «in dieser Sklaverei leben» sollten. Nicht nur nach seiner Ansicht führen wohl nahezu alle Nordkoreaner ein Doppelleben: Selbst die Elite glaube nicht an das Kim-Regime und seine Überlebensfähigkeit, doch der Verlust von Privilegien bei hohen Funktionären und eine grausame Terrorherrschaft über seinem eigenen Volk wären die wichtigste Garantie für das Weiterbestehen der Kim-Dynastie. Aussenpolitisch sei seine atomare Aufrüstung, die dem Autor zufolge heute «die grösste Bedrohung für den Weltfrieden» darstellt, seine Lebensversicherung.

Mit Hochdruck arbeitete die DVRK an der Entwicklung von Trägerraketen (die sehr weit und treffgenau fliegen und an Atomsprengköpfen, um auf deren Spitze montiert zu werden). In den vergangenen Jahren testete Pjöngjang mehrmals Interkontinentalraketen und besitzt heute schätzungsweise knapp 40 Atomwaffen. Als bedrohlich sind seine biologischen und chemischen Waffen zu werten sowie seine Cyber-Armee an Hackern. Ziel ist die weitaus gefährlichste Wasser-stoffbombe. Ein Präventivschlag der USA? Er hätte die Gefahr, nicht auf einmal alle Abschuss-anlagen der Raketen ausschalten zu können. Zudem könnte Nordkorea schon mit blossen Geschützen die nur 39 km von der Grenze entfernte südkoreanische Hauptstadt Seoul mit ihren 25 Millionen Einwohnern zerstören.

Einen sehr interessanten Einblick gewährt der Autor in das Alltags-leben des nordkoreanischen «Paradies» anhand seriöser Unterlagen. Danach liegt das dortige Pro-Kopf-Einkommen bei 1’100 Euro (und gehört zu den ärmsten Ländern der Welt), während dieses in Südkorea gut 23’000 Euro beträgt. Dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zufolge verfügt mehr als 80 Prozent der Bevölkerung über keine ausreichende Ernährungsvielfalt. Offiziell strebt Pjöngjang eine klassenlose Gesellschaft an; tatsächlich existiert ein Kastensystem, das einen Menschen schon bei seiner Geburt aufgrund der politischen Haltung seiner Eltern in «Linientreue» (das nur ein Viertel ausmacht!), «Schwankende» und in «Feinde» einteilt. Gerade auch unter Funktionären ist nach vielen gemachten Erfahrungen des Verfassers die Korruption sehr verbreitet.

Den Süden der Halbinsel sieht er als elftgrösste Wirtschaftsmacht der Welt und erinnert an dessen frühere «Sonnenschein-Politik», die den Norden wirtschaftlich unterstützte und so eine Annäherung zu erreichen suchte. Vergeblich: Pjöngjang hielt sich nicht an seine Versprechen, und es gab neue Angriffe aus dem Norden. Der jetzige Präsident in Seoul strebte erneut eine «Sonnenschein-Politik» an, doch nach der massiven Nuklear-Aufrüstung im Norden erklärte er bald Gespräche für «sinnlos» und baute das massive Raketenabwehrsystem THAAD auf. Der Leser erfährt Einzelheiten über die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen gegen die DVRK, um sie an den Verhandlungstisch zu zwingen. Doch immer wieder findet diese Wege, sie mit Hilfe von Briefkasten-Firmen in Hongkong und dunklen Geschäften ihrer Bot-schaften im Ausland zu umgehen.

Hinter dem Korea-Konflikt steht letztlich das Ringen der USA und Chinas um die Vorherrschaft in dieser gesamten Region, besonders um den Pazifik. Neben militärischen Gründen sind es ebenso wirtschaftliche Interessen. Eine der wichtigsten US-Basen ist dabei Okinawa. Wer immer diese japanische Insel beherrscht, hat den Zugang zum Ostchinesischen Meer. Wichtig ist ebenfalls die US-Insel Guam als «festinstallierter Flugzeugträger», von wo ihre B2-Stealth-Bomber mit ihren Atombomben in weniger als vier Stunden Nordkorea erreichen.

Für die Chinesen sind die Nuklear-Bestrebungen Pjöngjangs ebenfalls ein gefährliches Risiko. Die DVRK stellt für China lediglich eine strategische Pufferzone gegenüber der USA dar. Ohne ihre  heimlichen  Öllieferungen und ohne ihre Abwehr eines Flüchtlingsstromes von Nordkorea wäre das Regime sehr schnell am Ende. Das aber fürchtet China: Ein Vorrücken von US-Truppen über den 38. Breitengrad, um sich dann in den Besitz der dortigen Atombomben zu setzen, könnte leicht zu einem kriegerischen Zusammenstoss mit Pekings Armee führen.

Wie die USA und China versucht auch Russland, hier seine Interessen durchzusetzen. Die koreanische Halbinsel ist ein risikovolles Spiel der Grossmächte um Einfluss und Macht geworden, wie der Autor zu  Recht analysiert. Nach seiner Ansicht gibt es keinen begrenzten Militärschlag, sondern nur die Gefahr eines Atomkriegs, von dem die ganze Welt betroffen wäre». Ein gleichzeitiger Stopp der Tests Pjöngjangs sowie andererseits der US-Manöver könnten ein erster Schritt sein. Die Sanktionen müssten gelockert werden, vielleicht sollten auch Hilfen für die Wirtschaft Nordkoreas erfolgen. Nordkorea sollte Sicherheitsgarantien gegenüber Südkorea und Japan abgeben und seine Atomwaffen reduzieren,  natürlich unter internationaler Überwachung. Voraussetzung bei allem ist indes ein Mindestmass an Vertrauen. Das herzustellen erscheint zur heutigen Zeit jedoch fast unmöglich.

Friedrich-Wilhelm Schlomann, Königswinter/Bonn